Erzählungen

Etwas über die Ursprünge Wilhemshorsts
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Etwas über die Ursprünge Wilhelmshorsts

Die Liebe zum Holz, zum Baum, hatte schon immer in den Adern derer von Supkes pulsiert. Es mag sein, dass sie auf das 71er Jahr der großen Schlacht in Frankreich zurückgeht, in der Irmin von Supke, der Vater des Offiziers Emanuel von Supke mit Hilfe eines hölzernen Pferdes seine besten Kempen in die linksrheinischen Gebiete einschleusen konnte. Der lange tobende Krieg wurde einzig und allein aufgrund dieser, in der Geschichte einmaligen List, zugunsten derer von Supkes entschieden.
Alles schien zu einem glücklichen Ende zu kommen, doch während der Siegesfeier ging das ganze mit Spiegeln behangene Zelt in Flammen auf. Hier nun machte sich Emanuel von Supke einen Namen als Held, als er seinen Vater und eine durch die Welschen in einem der unzähligen vorherigen Krieg erbeutete Holzsäule aus dem Inferno rettete, indem er beide, den schwerverletzten Vater Irmin und das Heiligtum auf den eigenen Schultern aus dem brennenden Zelt und
dann auf einem Floß über den Rhein trug. Die Holzsäule wurde später nach seinem Vater Irminsul genannt, und konnte so, aus Feindeshand gerettet, wieder ihren angestammten Platz in den deutschen Mittelgebirgen einnehmen.
Sein Ruhm sicherte Emanuel eine große Gefolgschaft. Nach langer Irrfahrt auf den deutschen Gewässern, getragen von einem einfachen Holzfloß, wurden er und seine Mannen im Jahre 1884 endlich an den Havelufern an Land gespült.
Es ließen sich hier viele weitere Erlebnisse anführen,
bei welchen die Irminauten zu ungekannten Schauplätzen und schaurigen Abenteuern getragen wurden, und die die Nachwelt noch lange nach Emanuel von Supkes Tod zu berichten wusste. Doch wurden sie nach und nach durch das mündliche Weitertragen mit derart vielen unglaubwürdigen Randbemerkungen angereichert, dass sich seitdem eine nüchtern-historische Betrachtung derselben ausschließt.
Nicht alles aber nahm ein glückliches Ende, denn das Schicksal hatte es Emanuel verwehrt seine Frau Martha wieder in seine Arme zu schließen. In den langen Monaten des Krieges und den anschließenden Jahren des Wartens auf die Rückkehr des Offiziers war sie
aus Kummer gestorben und hinterließ dem Irminautenhelden zwei hungrige Kinder, deren Aufzucht der Offizier, nun wieder in heimischen Gefilden, unmöglich übernehmen konnte. All sein Wohlstand war durch die lange Reise aufgebraucht und all zu schnell verlor sich die Spur seiner Gefolgsleute im märkischen Sand.

Unweit des Nesselgrundes setzte daher ein verarmter Offizier seine zwei minderjährigen Söhne im Wald aus. Dies geschah, so lässt es sich anhand des Sterberegisters der Stadt Potsdam vermuten, die in diesem Jahr den Unfalltod zweier Offiziersknaben vermerkt, im Jahre 1885.
Eine Sippe dahintrottender Wildschweine nahm sich der beiden jungen Offizierssöhne an und nährte sie nebst ihrer Frischlingsbrut bis sie das wehrfähige Alter erreicht hatten. Man nimmt an, dass Wilhelm und Horst, so hießen die beiden
Knaben, während der Zeit im Wald ihre Menschlichkeit vergaßen. Noch voradoleszent hatten sie erstes soldatisches Eifertum in sich reifen gespürt, doch schon nach wenigen Monaten zwischen Moos, Kiefernnadeln und Baumpilzen eigneten sie sich schnell wildschweinische Überlebensinstinkte an. Mäuse, Schnecken und Pilze, falls der aufgebrochene Boden es hergab auch Wurzeln, Würmer und Engerlinge, deckten von da an ihren reichhaltigen Tisch. Das Leben wollte und konnte genossen werden.
Schon bald aber bewiesen die beiden Mut und Intelligenz und trugen zu Sicherheit und Wohlstand der ganzen Wildschweinsippe bei. Mit zunehmendem Alter konnten Wilhelm und Horst eine ansehnliche Schar ihr eigen nennen. Sie führten das Leben im Wald zu neuer Qualität, denn durch zaghafte Berührung mit der zivilisierten Welt, in dem sie aus dem havelländischen Morast ab und an in die Vorgärten der menschlichen Bewohner dieses Landstrichs eindrangen, erinnerten sie sich zunehmend ihrer wahren menschlichen Wurzeln.
Statt einer Suhle errichteten sie zwei Häuser, wie sie ihre Artgenossen
nie zuvor gesehen hatten. Doch scheuten sie sich davor die Trennung von ihrem Rudel ganz zu vollziehen. So kam es, dass der Schatten der Bäume auch der Schatten ihrer neuen Bleibe wurde.
Dies – und hier sind sich die Quellen wieder allesamt einig – geschah im Jahre 1907. Wilhelmshorst war gegründet. Und schon wenige Jahrhunderte später sollte aus dieser kleinen Waldsiedlung ein mächtiges Imperium werden, dem alle Völker der Welt ihren Tribut zoll
ten.