Schüttel mich, schüttel mich! Wir Äpfel sind alle miteinander reif.
Rüttel dich und schüttel dich! Wirf Gold und Silber über mich!
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, Steingrund
Unter den Händen. Hier blüht wohl
Einiges auf; aus stummen Absturz
Blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.
Schüttel mich. schüttel mich! Wir Äpfel sind alle miteinander reif.
Rüttel dich und schüttel dich! Wirf Gold und Silber über mich!
Mit gelben Birnen
Und voll mit wilden Rosen
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll.
Rüttel dich und schüttel dich! Wirf Gold und Silber über mich!
Schüttel mich, schüttel mich! Wir Äpfel sind alle miteinander reif.
Erde, kleines Schaukelschiff, nussschalengroß,
Treibt im dunklen Weltenraum, der so uferlos.
Erde, großes Menschenschiff, nussschalenklein,
Wer wird durch Gefahren groß unser Lotse sein?
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume - wiste'ne Beer
Und kommt ein Mädel, so flüstert's Lütt Dirn
Kumm man röwer ick gew' di 'ne Birn.
Schüttel mich, schüttel mich! Äpfel und Birnen sind reif.
So komm du lieber Sonnenschein,
Lass unsre Birnen gut gedeih‘n.
Und wenn sie gelb geworden sind,
Dann komm und wehe lieber Wind,
Komm Wind, und schüttle jeden Ast
Und lad‘ uns alle samt zu Gast.
Dann eilen wir zum Haus hinaus
Und halten einen Birnenschmaus.
Oben auf dem Apfelbaume,
Der sehr süße Birnen trug,
Hing des Frühlings letzte Pflaume
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See.
Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn,
Gehen wir in den Garten, kriegen auch ne Birn‘?
Klaun, klaun, Äppel wüllt wi klaun,
ruck zuck övern Zaun.
Jacob (*1785+1863) und Wilhelm Grimm (*1786+1859)
(Bildnachweis: Grimm, Jacob)
(Bildnachweis: Grimm, Wilhelm)
Grimm, Wilhelm und Grimm, Jacob: Kinder- und Hausmärchen, Berlin: Realschulbuchhandlung, Bd. 1-2, 1. Auflage 1812/15.
- Nr. 21 Aschenputtel.
[…]Als nun niemand mehr daheim war, ging Aschenputtel zu seiner Mutter Grab unter den Haselbaum und rief: "Bäumchen, rüttel dich und schüttel dich, wirf Gold und Silber über mich." Da warf ihm der Vogel ein golden und silbern Kleid herunter und mit Seide und Silber ausgestickte Pantoffeln[…]
- Nr. 24 Frau Holle.
Darnach ging es weiter und kam zu einem Baum, der hing voll Aepfel und rief ihm zu: „ach! schüttel mich! schüttel mich! wir Aepfel sind alle miteinander reif!“ Da schüttelt’ es den Baum, daß die Aepfel fielen, als regenten sie, solang bis keiner mehr oben war, darnach ging es wieder fort.
Rainer Maria Rilke (*1875+1926)
(Bildnachweis: Rilke, Rainer Maria)
Rilke, Rainer Maria: Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. In: Duineser Elegien. Leipzig: Inselverlag, 1923.
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,
siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,
aber wie klein auch, noch ein letztes
Gehöft von Gefühl. Erkennst du's?
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund
unter den Händen. Hier blüht wohl einiges auf; aus stummem Absturz
blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.
Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann
und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.
Da geht wohl, heilen Bewußtseins,
manches umher, manches gesicherte Bergtier,
wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel
kreist um der Gipfel reine Verweigerung. - Aber
ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens....
Friedrich Hölderlin(*1770+1843)
(Bildnachweis: Hölderlin, Friedrich)
Hölderlin, Friedrich: Hälfte des Lebens. 1804, In: Taschenbuch für das Jahr 1805. Frankfurt/M: Friedrich Wilmans, 1805.
Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Theodor Fontane(*1819+1898)
(Bildnachweis: Fontane, Theodor)
Fontane, Theodor: Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Stuttgart: Cotta, 1889.
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«
So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
Wilhelm Willms (*1930+2002) und Ludger Edelkötter(*1940)
Willms, Wilhelm und Edelkötter, Ludger: Erde kleines Schaukelschiff. Impulse-Musikverlag, 1979.
Erde, kleines Schaukelschiff, nussschalengroß,
treibt im dunklen Weltenraum, der so uferlos.
Erde, großes Menschenschiff, mussschalenklein,
wer wird durch Gefahren groß unser Lotse sein?
Erde, gutes Mutterschiff, Arche fragenvoll,
sag doch einer, wie und wann alles enden soll.
Erde, kleines Schaukelschiff, sieh wer zu dir steigt,
frag ich, ob er weiter weiß und die Richtung zeigt.
Erde, kleines Schaukelschiff, nussschalengroß,
treibt im dunklen Weltenraum, der so uferlos.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (*1798+1874): Der Birnenschmaus (1857)
(Bildnachweis: Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich)
Hoffman von Fallersleben, August Heinrich: Der Birnenschmaus: In: Kinderlieder: Berlin: Grothesche Verlagsbuchhandlung, 1877.
So komm, du lieber Sonnenschein,
Lass unsre Birnen gut gedeih'n!
Und wenn sie gelb geworden sind,
Dann komm und wehe, lieber Wind!
Komm, Wind, und schüttle jeden Ast
Und lad' uns alle samt zu Gast!
Dann eilen wir zum Haus hinaus
Und halten einen Birnenschmaus.
Volkstümlich: Dunkel war‘s, der Mond schien helle
Volksthümliches aus dem Königreich Sachsen, auf der Thomasschule gesammelt von Oskar Dähnhardt. Erstes Heft: Leipzig: Teubner, 1898.
Dunkel war's,
der Mond schien helle,
schneebedeckt die grüne Flur,
als ein Auto blitzesschnelle
langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saßen stehend Leute
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschossner Hase
auf der Sandbank Schlittschuh lief.
Und der Wagen fuhr im Trabe
rückwärts einen Berg hinauf.
Droben zog ein alter Rabe
grade eine Turmuhr auf.
Ringsumher herrscht tiefes Schweigen,
und mit fürchterlichem Krach
spielen in des Grases Zweigen
zwei Kamele lautlos Schach.
Und auf einer roten Bank,
die blau angestrichen war,
saß ein blondgelockter Jüngling
mit kohlrabenschwarzem Haar.
Neben ihm ne alte Schrulle,
die kaum siebzehn Jahr alt war,
in der Hand ne Butterstulle,
die mit Schmalz bestrichen war.
Oben auf dem Apfelbaume,
der sehr süße Birnen trug,
hing des Frühlings letzte Pflaume
und an Nüssen noch genug.
Von der regennassen Straße
wirbelte der Staub empor.
Und ein Junge bei der Hitze
mächtig an den Ohren fror.
Beide Hände in den Taschen
hielt er sich die Augen zu.
Denn er konnte nicht ertragen,
wie nach Veilchen roch die Kuh.
Und zwei Fische liefen munter
durch das blaue Kornfeld hin.
Endlich ging die Sonne unter
und der graue Tag erschien.
Holder Engel, süßer Bengel,
furchtbar liebes Trampeltier.
Du hast Augen wie Sardellen,
alle Ochsen gleichen Dir.
Volkstümlich: Spannenlanger Hansel, nudeldicke Dirn
(Bildnachweis: Simmrock, Karl)
Karl Simrock: Das deutsche Kinderbuch. Frankfurt/M.: Brönner, 1848.
Gehn wir in den Garten, schütteln wir die Birn'!
Schüttel ich die großen, schüttel ich die klein'
Wenn das Säcklein voll ist, gehn wir wieder heim.
Lauf doch nicht so schnelle, spannenlanger Hans!
Ich verlier die Birn' und die Schuh' noch ganz!
Trägst ja nur die kleinen, nudeldicke Dirn
Und ich schlepp den schweren Sack mit den großen Birn'.
Ludwig (*1867+1955), Leopold (*1869+1926) und James (*1870+1943) Wolf
Wolf, Ludwig, Leopold und James : An de Eck steiht `n Jung. Hamburg: 1911.
1895 als Wolf-Trio gegr.; ab 1906 Duo der Brüder Leopold u. Ludwig Wolf (eigentl. Isaak); 1933 Berufsverbot
An de Eck steiht ´n Jung mit´n Tüddelband
in de anner Hand ´n Bodderbrood mit Kees,
wenn he blots nich mit de Been in´n Tüddel kümmt
un dor liggt he ok all lang op de Nees
un he rasselt mit´n Dassel op´n Kantsteen
un he bitt sick ganz geheurig op de Tung,
as he opsteiht, seggt he: hett nich weeh doon,
ischa ´n Klacks för ´n Hamborger Jung
Jo, jo, jo, Klaun, klaun, Äppel wüllt wi klaun,
ruck zuck övern Zaun,
Ein jeder aber kann dat nich, denn he mutt ut Hamborg sien.
An de Eck steiht ´n Deern mit´n Eierkorf
in de anner Hand ´n groote Buddel Rum
Wenn se blots nich mit de Eier op dat Plaaster sleit
un dor seggt dat ok al lang "bum bum".
Un se smitt de Eiers un den Rum tosomen
un se seggt "so'n Eiergrog den hebb ik geern"
as se opsteiht, seggt se: "hett nich weeh doon,
ischa´n Klacks för´n Hamborger Deern
Jo, jo, jo, Klaun, klaun, Äppel wüllt wi klaun,
ruck zuck övern Zaun,
Ein jeder aber kann dat nich, denn he mutt ut Hamborg sien.