Feuer

Der Raum ist dunkel, obwohl alle Wände weiß gestrichen sind. Die Fenster waren mit Brettern vernagelt, ich weiß nicht warum. Eines Morgens wachte ich auf, ohne den Morgen zu sehen. Der Raum ist dunkel, aber durch die Ritzen zwischen den Brettern dringt Licht, blau, rot und gelb.

Ich sitze, was soll ich auch sonst machen. Früher einmal bin ich des öfteren aufgestanden und durch den Flur gewandert. Es ist viel Platz, doch ich ließ das, als mir jeder Winkel, jede Ratte bekannt war.  Es mag das zwanzigste Jahr sein, dass ich hier verbringe. Das Brot ist gewöhnungsbedürftig, aber es hält mich am Leben. Wasser fließt vom Dach durch ein Fallrohr in ein kleines Fass unter dem dunklen Fenster. Vielleicht ist Sommer. Die Lichtfetzen halten sich lange zur Zeit, außerdem genügt ein ärmelloses Hemd, weiß. All meine Kleidung ist weiß. Ich habe darauf bestanden. Weiß reflektiert das wenige, was mir an Licht gelassen wurde, blau rot und gelb.

Ich bin allein hier, abgesehen von drei Ratten. Die leben länger schon als ich in diesem Haus. Sie mögen auch Fluchtwege kennen, die mir zu eng sind. Doch sind es immer dieselben, ich habe sie markiert: blau, rot und gelb. Seit ich täglich sitze geraten meine Gedanken in Ordnung, ich will nicht sagen, dass ich mich langsam beruhigt habe, das wäre ja, als sei ich schon tot. Es weiß ja niemand mehr von mir. Doch – jemand gibt mir mein Brot, vielleicht habe ich ihn gesehen, vielleicht ist es meine Frau, die man dazu verpflichtet hat. Ich habe keine Kontrolle über die Außenwelt, nur meine weiße Kleidung habe ich ihr abgerungen. Ich wäre einen Blick wert, würde ich so durch die Straßen meiner Heimatstadt gehen. Es ist unmöglich. Es hat sein Gutes mit dem menschlichen Gerechtigkeitssinn, der mich in diese Lage gebracht hat. Ich konnte niergends so klare Gedanken führen wie hier. Ich sage führen. Es scheint mir angemessen, dass ich Herr über meine Gedanken geworden bin. Das war nicht immer so. Es gab eine Zeit in der ich geplagt wurde von dem, was sich mein Kopf erdachte, ich war kein Ganzes als Mensch in der Freiheit. Ich hätte nicht einmal sagen können: ich mache mir Gedanken. Nein, die Gedanken machten mich, sie waren frei, nicht der Kopf, schon gar nicht ich, der sie dachte. Es dachte in mir, ich konnte nicht bestimmen über die fantastischen Welten, die sich in meinem Kopf bildeten. Eine Welt voller harmonischer Töne und Farben, blau, rot und gelb. Und voller Tiefe.

Doch jetzt wo ich nicht mehr in Freiheit lebe, habe ich Gewalt über mich. Es gibt keine wirklich freie Welt, es gibt kein Reich der Fantasie, es gibt Gefangenschaft, äußerlich oder von innen, sonst nichts. Fantasie ist nur die beschleunigte Verknüpfung von Gedanken. Die Realität der Welt ist die Mauer, die sie begrenzt. Hinter der Mauer erst ist das Licht, wonach wir suchen. Ich habe körperliche Gebrechen, doch ist das nicht der Grund, warum ich nur noch sitze.

Man hatte mich geschlagen, als ich zum letzten mal mein Haus verlassen wollte. Man hielt mich zurück. Ich wurde empfangen von einigen Unbekannten, sie waren nicht einmal uniformiert. Ich wurde verhört, ich gestand, es bedurfte keiner Zeugen, meine Frau heulte erbärmlich, man ließ mich, wo ich war, man machte mir mein eigenes Haus zu meinem Gefängnis, man hat davon gesprochen Wachen aufzustellen, und dass ich es nicht wagen solle zu flüchten. Das ist nicht nötig, sagte ich, und: nie mehr will ich einen Menschen töten.

Es war ganz leicht. Doch dann wurde sein Gesicht blau. Das Blut floss rot und die Lippen, die noch vom Schrei geöffnet waren, legten mir zum Hohn die gelben Zähne frei. Blau, rot und gelb, die letzten Farben, die ich draußen sah, so dass mir nur diese in Erinnerung geblieben sind. Voller Tiefe.

Die Luft wird mir schwer. Ich sitze manchmal und will nachdenken, ob ich ihn hätte leben lassen sollen. Dann, nur dann verweigert sich mir die Kraft der Logik. Ich kann darüber nachdenken, ob es regnet, ob die Sonne scheint, ob ich mit Liebe mein Leben verschönert oder belastet habe, doch nicht ob ich ein Leben hätte schonen können.

Jetzt, in diesem Moment, unternehme ich wieder einen Versuch, der nicht zu Ende gebracht werden kann. Es kommt immer etwas dazwischen, draußen wird ein Rauschen und Knistern der Bäume laut und lenkt mich ab. Wird es Herbst? Das Licht war doch eben noch so stark. Das Atmen fällt mir schwer. Ich denke manchmal meiner Gesundheit wird diese Gefangenschaft nicht gut tun. Man braucht auch frische Luft. Doch hier wird es zunehmend stickig.

Ich denke mich nach draußen. Ob sich die Verhältnisse geändert haben? Ja, sie müssen. Sonst war auch das umsonst. Vielleicht sind sie da draußen ja jetzt freier und denken nicht wie ich. Vielleicht gab es eine Rebellion. Man müsste mich auf die Straßen gehen lassen. Es müsste jemand Feuer legen, gegen die Ordnung. Ich blicke auf zu meinen verbretterten Fenstern. Ich muss husten. Das Licht ist gelb geworden, gesättigt von Nebel, aber es kann noch nicht Herbst sein.

Feuer -  etwas in meinem Kopf denkt: Feuer. Ich will diesen Gedanken wieder los werden. Er ist nicht meinem Willen entsprungen. Er ist nicht wahr. Es denkt: Feuer, Rauch. Nein meine Sinne trügen mich nicht. Bin ich nicht mehr frei selbst zu denken? Das wenige Licht, hinter den Fenstern ist rot geworden. Dicker blauer Rauch dringt von der Decke. Ein Balken knirscht. Meine Haut beginnt zu schwitzen. Ich sitze und sehe die Wände erglühen, Glut rieselt auf meine Arme. Wäre es heller, könnte ich die Brandwunden auf meiner Haut sehen, so kann ich sie nur spüren und riechen. Ich nehme den Geruch verbrennender Haare wahr. Meine Sinne täuschen mich nicht. Ich sitze in Mitten eines brennenden Hauses. Es stürzen Balken hinter mir zu Boden und doch sitze ich ruhig. Nicht einmal in meinem eigenen Haus, das man mir zum Gefängnis machte, kann ich über mein Leben herrschen. Wie viel Hitze verträgt der menschliche Körper? Nicht viel. Mein Leben, das Leben eines Mörders geht zu Ende.



Wombo-Schlagworte: Scheiterhaufen, Style: Mystical