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Schnellster Mann der Welt
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Schnellster Mann der Welt

 

Wenn sie davon eilt, die Zeit, hat man das Gefühl, dass sie einen mitreißt, oder eher, dass man dabei zurückfällt. Man bleibt auf der Strecke, weil man mit dem Tempo der Zeit nicht mithalten kann, oder man wird hin und her gestoßen, ohne Einfluss bleibt man dann.

Ich gehöre lieber zu denen, die die Zeit vorbeieilen lassen, ich ziehe meine private Bremse, auch wenn dann kurz das Gefühl entsteht allein zu sein, isoliert von der Zeit, isoliert von Mode.

Natürlich entsteht dabei Zukunftsangst, weil die gesamte Gesellschaft auf Zukunft programmiert ist, bloß man selbst nicht. Man muss lernen sich damit abzufinden. Erfolg darf dann kein Stichwort mehr sein. Sich auf das Leben vorbereiten geht dann nicht mehr, weil man ja schon mittendrin steckt im Leben. Worauf will man sich mehr vorbereiten als auf den Augenblick, ihn in seiner Vielfalt genießen.

Wer hält schon mitten auf der Straße an, bloß um den Moment zu genießen da der Mond aufgeht. Ich!

Man könnte sagen, er geht ja morgen wieder auf, oder nächsten Monat, das zu sehen hat man ja noch Gelegenheit, es genügt eine davon zu nutzen.

Oh nein, ich will sie alle nutzen, ich will jede noch so kleine Farbschattierung auf seiner Oberfläche aufnehmen.

 

Ist es nicht ein herrliches Gefühl zu bleiben, wenn andere nervös, wohl auch hupend und fluchend vorübereilen? Dann eröffnet sich den Sinnen die andere Dimension, die Tiefe, der Raum.

 

Heute monierte jemand in einem Zeitungsartikel, dass es keine öffentlich sichtbaren Uhren mehr gäbe. Was sonst vor jedem Bahnhof, vor jedem Amt, an jedem öffentlichen Platz zu finden war, ist heute, wo jeder eine hochentwickelte, atomgenaue Funkuhr am Arm trägt, oder doch nur auf sein Display guckt, wo er ja eh ständig hinguckt, überflüssig geworden. Der Nachteil sei, dass wenn man, beide Arme voll, durch die Straßen rennt, um den nächsten Bus zu erwischen, erst einen Zeit- und Nervtötenden Prozess durchmachen müsse, wolle man einen Blick auf die Armbanduhr werfen, oder wenn man bei kaltem Wetter mit mehreren Pullovern auf dem Fahrrad sitzt, die Armbanduhr vergraben unter Kleidungsstücken, erst anhalten, absteigen, nachschauen, Gott sei Dank noch Zeit, aufsteigen weiterfahren muss.

 

Mich stört das nicht, ich bin sogar froh, wenn einen die Zeit nicht auf Schritt und Tritt verfolgt, wo doch meine erste Handbewegung am Wochenende oder zu Ferienbeginn das Ablegen meiner ohnehin gehassten Armbanduhr ist. Eingestellt bin ich sowieso immer auf den übernächsten Bus. Es kommt sogar vor, dass ich meinen Bus nicht nehme, auch wenn ich schon über zehn Minuten an einer Haltestelle stand, bloß um beobachten zu können, wie sich der Rest der Welt abhetzt. Dann verspüre ich sogar Schadenfreude, wenn einem verzweifelten Herrn der Bus vor der Nase wegfährt. Es war noch genau ein Sitzplatz frei im Bus, es hätte meiner sein können, aber ich habe Zeit, es hätte aber auch seiner sein können, hätte er der Kassiererin im Laden zuvor kein freundliches Tschüß gegönnt und wäre gleich losgerannt.

 

Ich rede nicht gern im Konjunktiv, nicht weil mir ungenutzte Möglichkeiten Angst machen, sondern, weil mir andere Situationen als die jetzige viel zu abwegig erscheinen, als dass ich sie auch noch umständlich in Worte kleide.

Ich bin hier und ich bin jetzt. Gut, ich war gestern dort und morgen vielleicht werde ich woanders sein, vornehmlich bin ich jetzt und hier.

Mein Zeh juckt, also kratze ich mich. Ich würde es jetzt nicht tun, hätte er vor zwei Stunden gejuckt oder morgen Abend eventuell jucken können, das wäre ja absurd.

 

Später wohl nicht mehr. Wenn der Zustand eintritt muss man reagieren. Vorbeugende Maßnahmen führen zu Ereignissen, die ohne vorbeugende Maßnahmen ganz anders eintreten würden, oder gar nicht. - Katastrophen mal ausgenommen.

Meine Zukunftsvision, doch, ich habe eine, auch wenn Sie sie bei mir nicht erwarten. Meine Zukunftsvision tritt ein, wenn alle Menschen aufhören sich welche zu machen. Der Weg ist das Ziel, und zwar der Weg durch den Raum, nicht durch die Zeit.

 

Mein Beruf hat diese Souveränität über die Zeit mit sich gebracht. Ich gebe zu, mein Zeitverhalten ist erlernt, es gab Zeiten da war ich genauso abgehetzt wie Sie. Sie müssen wissen, dass ich von Kindesbeinen an Leistungssportler war, von Anfang an darauf getrimmt, der schnellste zu sein, und nicht nur das. Auch der Höchste und Weiteste. So musste ich mir ständig Gedanken machen, wie ich es anstellen könnte, noch ein bisschen schneller zu werden. Wenn man beginnt auf die Hundertstel einer Sekunde zu achten, wird der Raum eng, ganz natürlich. Je mehr Wert auf die Zeit gelegt wird, auf die Effizienz, desto unbedeutender wird der Raum. Man sagt nicht, du musst noch zwölf Meter laufen, dann bist du der erste, nein. Man läuft ja nicht gegen die anderen Teilnehmer des Wettkampfs. Man läuft gegen alle Teilnehmer aller Wettkämpfe aller Zeiten. Die Messung ist übergeordnet, Man läuft gegen die Zeit, gegen das Ticken, Zirkeln und Kreiseln der Sekundenzeiger. Noch ungefähr drei hundertstel Sekunden bleiben dir und du bist Weltmeister. Ich bin der schnellste Mann der Welt und es hat mir lange Zeit zu schaffen gemacht. Immer musste ich meine Schnelligkeit unter Beweis stellen. Immer habe ich diesen Druck gespürt, den die Zeit auf mich ausübte. Immer war ich gehetzt vom eigenen, das war das Schlimmste, ja, vom eigenen Zeitgefühl getrieben. Ich hatte den Hundertstelsekundenzeiger verinnerlicht, er wirbelte in mir, alles wurde von ihm gesteuert.

Gleich, gleich hast du es geschafft, gleich der Sieg, das Ziel. Schneller.

Ich hatte lange Zeit nicht bemerkt, dass ich der schnellste Mann der Welt war, ich hatte nie Zeit gefunden mir darüber Gedanken zu machen. Kaum am Ziel, kaum die Medaille um den Hals, kam das nächste Training, gleich weiter, gleich der nächste Wettkampf. Noch etwas schneller werden, welche Schuhe, welcher Haarschnitt, um Gottes willen, jede Beeinträchtigung vermeiden.…

Das ist lange her und das ist in Ordnung. Es gibt mir eine unendliche Ruhe, jetzt sagen zu können: Ich war der schnellste Mann der Welt.