Musik

083 Ich han min lehen...

Ich hân mîn lêhen, al die werlt, ich hân mîn lêhen.

Nû entfürhte ich niht den hornunc an die zêhen,

und will alle boese hêrren dester minre flêhen.

Der edel künec, der milte künec hât mich berâten,

daz ich den sumer luft und in dem winter hitze hân.

Mîn nâhgeburen dunke ich verre baz getân:

Sie sehent mich niht mêr an in butzen wîs als sî wîlent tâten.

Ich bin ze lange arm gewesen ân mînen danc.

Ich was sô voller scheltens daz mîn âten stanc:

Daz hât der künec gemachet reine, und dar zuo mînen sanc.

 

Verehrter Herr Minister!

Kennst du die schlimme Geschicht?

Mein Kind aß Montag wenig.

Am Dienstag aß es nicht.

Am Mittwoch mußten wir darben.

Donnerstag litten wir Not.

Und draußen auf den Straßen

Starb wer den Hungertod.

Drum lass am Samstag backen

Das Brot fein säuberlich,

Sonst werd ich Sonntag packen,

Senkst du die Steuern nicht.

 

Ich hab mein Lehen, hört nur her, ich hab' mein Lehen!

Nun fürchte ich nicht mehr den Frost an meinen Zehen

Und will in Zukunft nie mehr Geizgkragen anflehen.

 

Im düstern Auge keine Träne.

Ich sitz im Zimmer, fletsch die Zähne.

Null Zinsen im Quartalssparbuch.

Der Zentralbank gilt mein Fluch.

 

Ein Fluch dem Amt, dass mich nicht stützt.

Beim Fordern stets das ö vergisst.

Ein Fluch der Schere, die sich spreizt.

Ein Fluch dem Job, der uns verheizt.

 

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht.

Wir sind doch fleißig, Tag und Nacht.

Doch Dispozinsen sind Betrug.

Nur eine Erbschaft bricht den Fluch.

 

Ich hab mein Lehen, hört nur her, ich hab' mein Lehen!

Ich bin so dankbar!

Nun fürchte ich nicht mehr den Frost an den Zehen!

5 Euro, stellt euch das mal vor!

Und will in Zukunft nie mehr Geizgkragen anflehen.

5 Euro – für mich!

 

Das edle Arbeitsamt hat meinen Satz erhöht.

Ich tanze auf der Straße, weil‘s mir schon so viel besser geht.

Meine Erscheinung hat es sofort allen andern angetan.

Man sieht mich gar nicht mehr wie einen Hartzer an.


Du darfst dieses Projekt gerne finanziell unterstützen:



 Walther von der Vogelweide (*ca. 1170+ ca. 1230)

Walther von der Vogelweide

Bildnachweis: Vogelweide

von der Vogelweide, Walther: Ich han min Lehen: In: Codex Manesse, 13.Jh.

Ich hân mîn lêhen, al die werlt, ich hân mîn lêhen.
nû enfürhte ich niht den hornunc an die zêhen,
und wil alle boese hêren dester minre flêhen.
der edel künec, der milte künec hât mich berâten,
daz ich den sumer luft und in dem winter hitze hân.
mîn nâhgebûren dunke ich verre baz getân:
si sehent mich niht mêr an in butzen wîs als si wîlent tâten.
[29,1] ich bin ze lange arm gewesen ân mînen danc.
ich was sô volle scheltens daz mîn âten stanc:
daz hât der künec gemachet reine, und dar zuo mînen sanc.

Neuhochdeutsche Übersetzung:
Ich hab’ mein Lehen, alle Welt, ich hab’ mein Lehen!
Nun fürchte ich nicht mehr den Februar an den Zehen
und werde alle schlechten Herren um nichts mehr bitten.
Der edle König, der mildtätige König hat für mich gesorgt,
dass ich im Sommer kühle Luft und im Winter Wärme habe.
Bei meinen Nachbarn bin ich viel geschätzter:
Sie sehn mich nicht mehr als Schreckgespenst, wie sie es einst taten.
Ich bin zu lange arm gewesen ohne meine Schuld;
ich war so voller Schelte, dass mein Atem stank.
Das hat der König rein gemacht und mein Singen dazu.

Heinrich Heine (*1797+1856)

Heinrich Heine

Bildnachweis: Heinrich Heine

schlesische Weber

Bildnachweis: Die schlesischen Weber. Carl Hübner (*1814+1879), 1844

Heine, Heinrich: Die schlesischen Weber. In: Marx, Karl: Vorwärts. 10.07.1844

Im düstern Auge keine Träne,

Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:

Deutschland, wir weben dein Leichentuch,

Wir weben hinein den dreifachen Fluch -

Wir weben, wir weben!


Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten

In Winterskälte und Hungersnöten;

Wir haben vergebens gehofft und geharrt,

Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt -

Wir weben, wir weben!


Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,

Den unser Elend nicht konnte erweichen,

Der den letzten Groschen von uns erpreßt

Und uns wie Hunde erschießen läßt -

Wir weben, wir weben!


Ein Fluch dem falschen Vaterlande,

Wo nur gedeihen Schmach' und Schande,

Wo jede Blume früh geknickt

Wo Fäulnis und Moder den Wurm erquickt -

Wir weben, wir weben!


Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,

Wir weben emsig Tag und Nacht -

Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,

Wir weben hinein den dreifachen Fluch,

Wir weben, wir weben!

Bildnachweis: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_schlesischen_Weber

Georg Weerth (*1822+1856)

Georg Weerth

Bildnachweis: Georg Weerth

Weerth, Georg: Das Hungerlied. In: Kaiser, Bruno : Die Achtundvierziger. Ein Lesebuch für unsere Zeit. Weimar: Thüringer Volksverlag 1952, S. 331f.

Geschrieben wurde der Text für den Zyklus "Die Not" im Jahr 1844.

Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.

Und am Mittwoch mussten wir darben
Und am Donnerstag litten wir Not;
Und ach, am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!

Drum lass am Samstag backen
Das Brot fein säuberlich –
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich!