Musik

052 Des Menschen Wort

Du machst Mäh? Du bist das Blökende, du bist ein Schaf, du bist ein Schaf!

Du ruhst still und du bist nass? Du bist ein Haff, du bist ein Haff!

Bist du englisch, und du liebst? Dann machst du Love!

Isst du ungarisch, ist das geil? Dann ist das scharf!

Ich habe Löcher in der Syntax, ich bin baff!

Ich bin baff, ich bin baff!

 

Kunst kommt von Können, Gunst kommt von Gönnen,

Brunst kommt von brennen und Dunst weht von Dänen,

Funst kommt von Fontänen, von Fontänen!

 

Das Kind lernt Wörter in der School,

Doch viele Wörter sind schlicht hohl.

Alkohol passt zu Weißkohl,

Doch viele Wörter sind schlicht hohl.

Im Norden hat die Welt nen Pol,

Doch in der Mitte ist sie hohl.

 

Wie kommt der Mensch zum Wort?

Wirkt ein Fluch wie ein Mord?

Sprache mindert den Akkord!

Was lauter klingt, hallt länger fort,

Doch der beste Wortschatz ist kein Hort

Und Zungenbrecher sind kein Sport.

Die Stilblüten sind verdorrt.

 

Brennen, Brunst, kennen, Kunst, rennen, Runst, dennen, Dunst,

Kommen, Kunft, brummen Brunft, zummen, Zunft,

vernehmen, Vernunft, zukehmen, Zukunft

 

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.

Sie sprechen alles so deutlich aus:

Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,

Und hier ist Beginn und das Ende ist dort!

 

Mich bangt auch ihr Sinn und ihr Spiel mit dem Spott

Sie wissen alles was ist und was war.

Kein Berg ist ihnen mehr wunderbar

Ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

 

Ich will immer warnen und wehren bleibt fern!

Die Dinge singen hör ich so gern.

Ihr rührt sie an, sie sind starr und stumm.

Ihr bringt mir alle die Dinge um.


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Johann Gottfried Herder (*1744+1803)

Johann Gottfried Herder

(Bildnachweis: Herder, Johann Gottfried)

Herder, Johann Gottfried: Abhandlung über den Ursprung der Sprache. In: J.G.H. Sprachphilosophische Schriften. Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1964

Der Text war Herders Antwort auf Johann Peter Süssmilchs These, die Sprache habe göttlichen Ursprung. Die Berliner Akademie hatte 1770 zu einer Preisaufgabe eingeladen. Herders Aufsatz erschien am 01.01.1771. Er gewann den 1. Preis.

Sobald er [der Mensch] in das Bedürfnis kommt, das Schaf kennen zu lernen, so stört ihn kein Instinkt, so reißt ihn kein Sinn auf das selbe zu nahehin oder davon ab; es steht da, ganz wie es sich seinen Sinnen äußert. Weiß, sanft, wollig – seine besonnen sich übende Seele sucht ein Merkmal – das Schaf blökt! sie hat ein Merkmal gefunden. […] „Ha, du bist das Blökende!“

 

Reiner Maria Rilke (*1875+1926)

Rainer Maria Rilke

(Bildnachweis: Rilke, Rainer Maria)

Rilke, Reiner Maria: Ich fürchte mich so vor des Menschen Wort. In: Rilke, Rainer Maria: Mir zur Feier. Gedichte. Berlin: Meyer, 1899.

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.

Sie sprechen alles so deutlich aus.

Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,

und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,

sie wissen alles, was wird und war;

kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;

ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.

Die Dinge singen hör ich so gern.

Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.

Ihr bringt mir alle die Dinge um.