073 Kassenbiene

Kassenbiene 

Bet und arbeit!, ruft die Welt,

Bete kurz, denn Zeit ist Geld.

An die Türe pocht die Not –

Bete kurz! denn Zeit ist Brot.

 

Und du scannst, und tippst und machst,

Und erträgst die Laufkundschaft.

Und zu Haus dein Kind verstummt.

Sorgst du, dass der Laden brummt?

 

Übergibst das fremde Geld

fremden Herren fremder Welt.

Öffnest noch ein weiteres Band,

Inventierst den Warenstand.

 

Kassenbiene, die Natur,

Gäb sie dir den Honig nur!

Oder ist er für den Kunden?

Ist dein Stachel denn verschwunden?

 

Frau der Arbeit aufgewacht,

Und erkenne deine Macht!

Alle Bänder stehen still,

Wenn dein starker Mut es will!

 

Kette die den Leib umstrickt,

Die dem Geist die Flügel knickt,

Die am Fuß des Kindes schon

klirrt – o Frau - das ist dein Lohn!

 

Bet und arbeit!, ruft die Welt,

Bete kurz, denn Zeit ist Geld.

An die Türe pocht die Not –

Bete kurz! denn Zeit ist Brot.


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Georg Herwegh (*1817+1875)

 Georg Herwegh

 (Bildnachweis: Herwegh, Georg)

Herwegh, Georg: Bundeslied für den ADAV (= Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein)

(1863 zur Gründung geschrieben)
Bundeslied des Allgemeinen deutschen Arbeitervereins für 4 Männerstimmen. Von Georg Herwegh. Componirt von Wilhelm Solinger. Th. P. Lißner, Zürich 1864.

Bet und arbeit! ruft die Welt
Bete kurz! denn Zeit ist Geld
An die Türe pocht die Not –
Bete kurz! denn Zeit ist Brot

Und du ackerst, und du säst,
Und du nietest, und du nähst,
Und du hämmerst, und du spinnst –
Sag, o Volk, was du gewinnst!

Wirkst am Webstuhl Tag und Nacht
Schürfst im Erz- und Kohlenschacht,
Füllst des Überflusses Horn,
Füllst es hoch mit Wein und Korn.

Doch wo ist  d e i n  Mahl bereit?
Doch wo ist  d e i n  Feierkleid?
Doch wo ist  d e i n  warmer Herd?
Doch wo ist  d e i n  scharfes Schwert?

Alles ist dein Werk! o sprich,
Alles, aber nichts für dich!
Und von allem nur allein,
Die du schmiedst, die Kette, dein?

Kette, die den Leib umstrickt,
Die dem Geist die Flügel knickt,
Die am Fuß des Kindes schon
Klirrt – o Volk, das ist dein Lohn.

Was ihr hebt ans Sonnenlicht,
Schätze sind es für den Wicht;
Was ihr webt, es ist der Fluch
Für euch selbst – ins bunte Tuch.

Was ihr baut, kein schützend Dach
Hat’s für euch und kein Gemach;
Was ihr kleidet und beschuht,
Tritt auf euch voll Übermut.

Menschenbienen, die Natur,
Gab sie euch den Honig nur?
Seht die Drohnen um euch her!
Habt ihr keinen Stachel mehr?

Mann der Arbeit, aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
Wenn dein starker Arm es will.

Deiner Dränger Schar erblaßt,
Wenn du, müde deiner Last,
In die Ecke lehnst den Pflug,
Wenn du rufst: Es ist genug!

Brecht das Doppeljoch entzwei!
Brecht die Not der Sklaverei!
Brecht die Sklaverei der Not!
Brot ist Freiheit, Freiheit Brot!

kompletter Text in: Herweghs Werke. Berlin und Weimar 1967, S. 230-234, 238