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033 Immer entlang und ewig

Immer entlang und ewig

 

 

Großmutter steht am Fenster, um uns zum Abschied zu winken.

Jetzt endlich würde sich unseren unerfahrenen Blicken die Welt öffnen. Eine Welt, die Großmutter schon so lange kennt, aus der sie ihre vielen Geschichten gesogen hat und die sie jetzt nicht mehr benötigt.

Vielleicht steht sie auch hinter der Balustrade einer Villa, so als hätte sie schon immer dort gewohnt. Oder es ist deine und nicht meine Großmutter.  Aber es ist gleichgültig – und gleichgültig von wo aus sie uns nachwinkt.

Da ziehen wir zwei kleinen Menschen nun also in die Welt, losgeschickt von einer alten Dame.

Der Auftrag kommt nicht von ihr. Sie hat ihn bloß weitergeleitet. Der wahre Auftraggeber, der dich und mich gedungen hat? Das Leben! Großmutter ist hier nur ein Sinnbild.

Das bedeutet, wenn wir zwei losgehen, dass wir irgendwo ankommen, wo die Welt schon mal gewesen ist, sich aber, gezwungen durch die Umstände auf einer langen Kreisbahn wieder davon entfernt hat. Nun ist es an uns, die Welt wieder ins rechte Lot zu bringen. Bis die Welt zurückkommt.

Gemeinsam und im Einklang schreiten wir an einem alten Zaun entlang.

Der Zaun begleitet uns fast eine Ewigkeit, doch ist er durchlässig. Man kann durch ihn hindurch auf saftige Wiesen spähen, auf denen mal Pferde grasen und mal Dalmatiner sich tummeln.

Links liegt unsere Welt, gesäumt von Bäumen, die sich einem dunkel erinnertem Licht entgegenstrecken, zwecklos, denn wir stehen erst am Beginn unserer Reise.

Rechts liegt unsere Welt gesäumt von Straßen und Städten, die sich endlos bis in Dunkelheit ziehen. Irgendwann wird unsere Reise enden.

Wir haben ein Zelt mit. Es trägt sich am Anfang etwas schwer, doch je mehr ich wuchs, desto leichter wurde es. Das Leben meinte, wir hätten es nötig uns irgendwo zu verorten.

In unserer Harmonie, die sich immer und immer wieder auch hinter dem Zaun spiegelt, die unsere Glieder strafft und stärkt, schreiten wir mutig, bemerken wir nicht, wie wir uns verändern, es geschieht ja langsam und nahezu im Gleichklang.

Du wirst älter, ich werde älter, Großmütter sterben, Leute finden sich ein, die sich wie Spürhunde an unsere Fährte heften, die beeindruckt sind von unserem Gang durch die Welt, die geschmeidig sein wollen, wie wir.  Ja, uns auch ab und an vorauseilen um dann weit vor uns zu verschwinden.

Nun sieht man hinter dem Zaun Jäger der Prärie ihre Bisons jagen, aber es werden immer weniger, wahrscheinlich sterben sie bereits wieder aus. 

Dir wachsen schon Brüste. Eine Frau an meiner Seite bist du geworden und das Gute am Horizont hinter uns droht vollends zu verschwinden, während mir ein Bart wächst. Wir begehen Fehler.

Und dann öffnet sich der Zaun für uns, kaum das wir Gelegenheit hatten einmal ganz in Ruhe von unseren Körpern zu kosten. Schon sind wir im verheißenen Land und sehen uns, dem Guten ergeben, einander an.

Und plötzlich ist der Zaun verschwunden, die Haut auf unseren einstmals straffen Armen ist faltig geworden und die Lust, die Welt zu verbessern ist angesichts des Guten, das uns nun umgibt, gewichen.

Endlich frei, doch fern, ganz fern, sehen wir noch die Villa oder Großmutters Haus, von wo wir damals aufgebrochen waren und den Zaun, der uns bis vor Kurzem begleitet hat, wie eine Nabelschnur von Welt zu Welt. 

Dann stehen wir vor der Wand. Eine Mauer.Ein Fenster. Ist unser Weg zu Ende?

Wir öffnen das Fenster, das nun plötzlich vor uns ist und sehen von hier oben unter der Balustrade unsere Enkel davonziehen.

Ein jedes Kind in eine andere Richtung. Kurz drehen sie sich noch einmal um.

Wir winken.