Verwirrungen im Stadtverkehr

Da standen wir also an der Kreuzung. Meine Beifahrerin war hübsch. Ich schaute immer wieder zu ihr herüber. Sie war noch ganz neu. Die Ampel leuchtete in kräftigem Rot auf den dunklen Asphalt herab. Lampen glitzerten als uns ein schwerer weinroter Mercedes mit einem unangenehmen Ruck in das Heck fuhr.
Ich sah es im Rückspiegel. Und ich spürte es im Nacken. Nur kurz, beiläufig blickte ich zu dem Mädchen an meiner Seite, nur kurz auch nochmals in das warme Rot des leuchtenden Vorfahrtsanzeigers, denn der offensichtlich Schuldige hatte sich schon angeschickt, den Tatort zu verlassen, was mich ein wenig überraschte. „Das ist doch strafbar!“, raunte ich der blonden Schönheit zu. „Tatorte zu verlassen!“ Doch auf Grund der Geschwindigkeit, mit der der Übeltäter sein Vorhaben in die Tat umsetzte, konnte ich erahnen, dass er keine Scheu hatte, sich in einen gesetzesuntreuen Menschen zu verwandeln, der Fahrer. Vielleicht war er ja sowieso schon einer. Schnell verschwand er unter einer schwarzen Brücke.
Wir stiegen aus und torkelten über die noch immer rot beleuchtete Straße. Als wir auf dem Gehweg ankamen hörten wir von ferne her das Summen des Martinshorns. „Da eilt Hilfe herbei!“ dachten wir beide gleichzeitig – und – „Wir passen zueinander!“, dachte ich.
In der Tat rollte von links ein einachsiges Polizeifahrzeug an uns heran - und an uns vorbei. Wir wiesen ihm die Richtung, in die der Mercedes verschwunden war, doch schlug es nicht diese Richtung ein. Es hatte wohl nicht vor, den Täter zu verfolgen. Ach wie schnell doch die Polizei ist, und wie schnell sie irrt!
Kurz später kam ein weiteres Fahrzeug, ebenfalls mit Martinshorn. Es hielt direkt vor uns. Zwei bullige Polizisten stiegen aus und stellten sich in einigem Abstand zu uns auf, nicht ohne die Muskeln unter ihren schwarzen Hemden und in den finsteren Visagen zucken zu lassen. „Sie warten auf Meldung!“ nahm ich an und ging mit meiner Partnerin auf die stattlichen Kerle zu. Meine Partnerin wollte sich gerade bei dem finstersten der beiden einhängen, als der Einachser höllisch lärmend zurück kam. Ein Knilch stieg aus und zerrte eine betagte Dame hinter sich her, die zitternd und unbestimmt mit den Armen ruderte. Er übergab die besagte Dame an die Häscher und wollte sich in Erwartung neuer Pflichten davon machen, gerade so, wie es der Mercedesfahrer kurz zuvor vorgeführt hatte. Das aber wollte ich verhindern.
„Hören Sie, Herr Wachtmeister …“. „Ein Straßenpolizist kümmert sich nicht um Fußgänger. Sie werden verstehen, dass es Wichtigeres gibt.“ Auf diese Antwort war ich vorbereitet. Man hört ja immer wieder von Fällen, in denen Fußbürgern nicht das gleiche Recht widerfährt wie den Achsbürgern.
„Nur aus purem Zufall sehen Sie uns hier mit den Füßen auf dem Gehweg stehen. Unser Fahrzeug steht dort drüben.“
„Dann steigen Sie doch ein.“
„Das eben geht ja nicht, da wir ja gewillt waren, einen Vorfall …“ weiter kam ich nicht, denn der Knilch war in den Tiefen seines Einachsers verschwunden und fuhr davon. Auf den Straßen ist ja immer viel zu tun.
Blieben noch die zwei anderen, die bulligen Polizisten.
Als ich mich umwandte sah ich gerade noch, wie die beiden die alte Dame, die sich gar nicht sonderlich wehrte, auf den Rücksitz ihres Staatsfahrzeuges quetschten. Meine Begleitung stieg inzwischen vorne ein. Ich rannte und bevor der finsterste der beiden seine Tür zuknallen konnte, rief ich ihm durch den enger werdenden Türspalt ins Gesicht: „Er fuhr einen dunkelroten Mercedes und entschwand entlang der Straße unter der Brücke!“
Eine Weile passierte nichts. Und ich dachte schon, der Polizist wolle meine Aussage überhören. Aber ich irrte mich. Er hatte lediglich Mühe gehabt eine zweite Variante des Vorfalls zu bedenken.
Die Tür öffnete sich wieder, der Uniformierte kam mitsamt uraltem Funkgerät wieder hervor und quakte meine Aussage hinein. Sein Kollege beschäftigte sich derweil ausgiebig mit meiner ehemaligen Beifahrerin. Ich spürte einen unangenehmen Druck hinter meinen Rippen.
Zwei Minuten später, ich betrachtete wieder die Ampel, die jetzt, endlich grün zeigte, kam der Einachser zurück. Er hatte den Mercedes im Schlepptau, der uns die Beule beschert hatte und tatsächlich konnte ich einige Spuren des Lacks meines Autos an seiner Stoßstange erkennen. Er stieg aus, nachdem er genau wie vorhin den Wagen zum Stillstand gebracht hatte, fragte seinen Untergebenen, ich denke, dass er sein Untergebener war: „War es dieser?“ Da sagte der Untergebene, dass man das den Zeugen fragen müsse. Meine ehemalige Partnerin hauchte ihm ins Ohr, dass er sehr scharfsinnig sei. Ich sagte: "Ja!", und der Untergebene, der bullige sagte: „Ja!“, und meine flüchtige Bekannte sagte zu ihm: "Ja, ich will!" Und zu mir sagte sie: "Ene mene mu und raus bist du!"
Und der Mercedes-Fahrer sagte: "Raus bin ich noch lange nicht! Schließlich habt ihr mich in meinem schönen Mercedes gefesselt!"
"Was bist du nur für ein fesselnder Typ, du bulliger Polizist du"!, sagte eine Frau, die mir flüchtig bekannt vorkam.
Die alte Dame wurde vom Rücksitz gezerrt, in den Einachser gebracht und an ihren Herkunftsort zurückgefahren. „Sie sind ein Fehler. Verzeihen Sie!“ Höfliche Entschuldigungen und ein bescheidenes Kichern der Dame hallten die Straße hinunter.
Alles war gut, dachte ich, stieg in mein Auto und machte mich auf den Weg in die nächste Werkstatt. Ab und an glitten meine Blicke noch über den leeren Beifahrersitz.