Über mich

Das bin ich (humanistisch-atheistisch) - der innere Halt

Zum zweiten Punkt:

Der Halt durch wiederkehrende Pflichten. Zu fragen ist, ob es sich dabei tatsächlich um einen Halt für jeden Menschen handelt, oder ob das Wort Pflicht nicht Abwehrreaktionen auslösen kann. Wann nehme ich an Ritualen teil? Weil es zur Gewohnheit gehört? Weil ich einen Sinn darin erkenne? Weil mir daraus etwas Positives erwächst?

Wahrscheinlich ist es nur der letzte Punkt. Gewohnheiten sagen nichts über die Sinnhaftigkeit aus. Eher über die Trägheit einer Gruppe. Natürlich können sich Gewohnheiten nur dann etablieren, wenn sie für eine Gruppe oder einen einzelnen Menschen einen Nutzen bringen. Doch dieser Nutzen muss immer wieder hinterfragt werden, sonst wird das Ritual hohl und es könnte sein, dass es nicht mehr in die Zeit passt. Nun basieren die kirchlichen Pflichten auf einer ganzen Menge einzelner Tätigkeiten, die hinterfragt werden müssen.

Was also, könnte ich alles vermissen? Die Eucharistie, das Beten, die Beichte, das Singen, die Predigten des Priesters, die Bibeltexte?

Diese Frage ist nicht schwer zu beantworten.

Die Bibeltexte kann ich auch alleine lesen. Sogar, wenn ich kein Wort davon glaube, kann es Spaß machen. Ich sehe sie wie einen Roman an und fertig ist die Sache.

Die Predigten des Priesters können gut sein. Meist waren sie aber schlecht. Oft sogar abstoßend. Als Kind war das der Teil der Heiligen Messe, der mir am wenigsten gegeben hat. Klar, es wurde ja vornehmlich zu den Erwachsenen gesprochen. Ich habe es später nochmal ausprobiert, als ich schon längst aus der Kirche ausgetreten war. Es ist nicht besser geworden. Aber selbst, wenn so eine Predigt eine angenehme intellektuelle Herausforderung sein sollte, oder ein unterhaltsames Soloprogramm des begnadetsten Redners unter Gottes freiem Himmel, letzter Zweck der Predigt ist es doch die Truppe zusammen zu halten und den Horizont der Gläubigen möglichst auf einem Niveau zu halten. Ich kann auf Predigten sehr gut verzichten.

Das Singen. Klarer Fall: Singen ohne Religion ist nicht vorstellbar. Oh, wie sehr vermisse ich die Lobgesänge auf Maria! Manchmal singe ich heimlich ein paar Psalmen und ein mystischer Schauer läuft mir dabei über den Rücken.

Ein Argument, dem Musiker häufig begegnen ist, dass es eine unüberschaubare Menge an abendländischer Kultur nicht gegeben hätte, wenn die Religion als Inspirationsquelle gefehlt hätte. Hätte Bach dann trotzdem Musik gemacht?

Natürlich kann man diese Frage auch umdrehen. Wie viel mehr kulturelle Entwicklung hätte es geben können, wenn die Kirche diese Komponisten nicht geprägt hätte oder ihnen sogar Vorgaben gemacht hätte. Wir erleben ja, dass es eine ungeheure Bandbreite an guter Musik gibt, die mit dem Christentum herzlich wenig zu tun hat.

Das Beten. Welchen Zweck hat das? In meiner Erinnerung waren die meisten Gebete in der Kirche auswendig gelernte heruntergeleierte Texte, deren Sinn man beim Sprechen nur selten erfasste. Natürlich, das ist eine Einstellungssache. Ich habe mich tatsächlich manchmal innerlich ermahnt, diese Sprüche auch ernst und von ganzem Herzen zu meinen, wenn ich sie sagte. Aber das hat es nicht besser gemacht. Ich weiß bis heute nicht, wie ein Lamm Gottes die Sünde der Welt tilgen kann. Ich weiß nicht, warum der Herr oder Jesus sich erbarmen sollten, auch wenn ich gar nichts schlimmes getan hatte.

Ein Gebet macht Sinn, wenn man es für sich spricht, um mit sich ins Reine zu kommen, um sich an Tiefschläge und Glücksmomente zu erinnern, um einer professionellen Autorität eine Schwäche einzugestehen, damit diese Autorität Hilfe bereitstellt. Dieser letzte Gedanke gehört natürlich schon zum Punkt „Beichte“. Also – was tue ich, wenn ich nicht in der Kirche bete und nicht ritualbehaftet-sinnentleert vor dem Mittagessen. Ich denke über mich nach. Ich erzähle meiner Familie, was ich erlebt, gedacht, geträumt habe. Ich schreibe einen Text, einen Tagebucheintrag, einen Tweet, eine Mail und vergewissere mich beim Schreiben immer wieder mir selbst gegenüber ehrlich zu sein. Die Autorität, die in der Kirche angesprochen wird, kann ja leider nicht helfen. Sie ist ja eine Figur, die sich Menschen erdacht haben, um Dinge zu erklären, die sie nicht verstehen. Wenn ich an diese erdachte Figur glaube und das tue ich, wenn ich ihr Geheimnisse erzähle, dann erzähle ich mir selbst auf der Metaebene, was ich über mich herausgefunden habe. Und wenn ich der ausgedachten Figur irgendwelche Floskeln vorsage, dann ist das eben gleich doppelt sinnlos.

Es kann sehr sinnvoll sein, vor Autoritäten auszusagen. Nur sollten es echte sein! Ich vermisse das Beten nicht.

Die Eucharistie. It‘s magic. Jede Woche wurde ein kleines geschmackloses Teigplättchen in den Leib Jesu verwandelt und an uns verfüttert. Tut mir ja leid: Das ist bei Katholiken nicht nur symbolisch gemeint. It‘s krass! Wir hatten uns einen Gott erdacht, der sich aufgespalten hat in sich selbst und seinen heiligen Geist, dieser hat dann eine Frau geschwängert, ohne sie zu begrapschen. Das heißt ein Teil der Idee ist zu den Menschen zurückgekehrt und „Fleisch geworden“. Der Sohn, ein Produkt des geteilten von uns ausgedachten Gottes wird nun als Hostie abermals geteilt und an uns verfüttert, die wir die geistigen Urheber dieser höchst zwiespältigen Angelegenheit sind. Wir schwängern uns mit unseren Ideen, brüten sie aus, hängen sie ans Kreuz, lassen sie sterben, lassen sie doch wieder leben, damit wir sie dann zerteilen und aufessen. Und das tun wir, damit diese Idee uns zum ewigen Leben verhilft. It‘s magic!

Leider verliert eine Zaubershow an Reiz, wenn man sie mehr als einmal erlebt. Und noch mehr, wenn sich der Hokuspokus (Hoc est Corpus = Verballhornung für: Dies ist mein Leib) dahinter offenbart.

Ich vermisse diese haltgebenden Rituale nicht. Ich kann mir selbst ohne den Umweg über Gott unerklärliche Vorgänge erklärbar machen, ohne sie zeugen und töten und essen zu müssen. Zumindest kann ich es versuchen, indem ich ganz doll über die Rätsel der Menschheit nachdenke.

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